07. Februar 2024
Esther Wyler
Der Klimawandel ist auch eine psychologische Krise
Fast 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung erachten den Klimawandel als grosses Problem mit unmittelbarem Handlungsbedarf. Dies ist das Ergebnis einer grossen Meinungsumfrage, welche das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) im Wahljahr 2023 durchgeführt hat. Im Gespräch mit der Psychologin Katharina van Bronswijk erfahren wir mehr über die psychische Dimension der ökologischen Krise.
2023 war ein Wetter-Jahr der Extreme: Hitzewellen, verheerende Waldbrände, Flutkatastrophen in Europa, welche Menschen und andere Lebewesen in akute Gefahr brachten. Viele Opfer und riesige Schäden. Wie wirken sich diese Ereignisse auf die Psyche der Menschen aus?
Sprachlosigkeit und Schock sind oft die ersten Reaktionen auf Ereignisse, die einem alles nehmen, was das Leben lebenswert gemacht hat. Menschen, die man liebt, das Haus, in dem man aufgewachsen ist, wenn alles in Trümmern liegt und man wieder neu anfangen muss. Bei etwa 5 bis 15 Prozent der Direktbetroffenen treten mentale Folgestörungen auf. Bei diesen sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen handelt es sich um eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis. Es können Symptome wie ständiges Erinnern an das Ereignis mit Wiedererleben der damit verbundenen Gefühle auftreten, beispielsweise Kontrollverlust, Hilflosigkeit oder Todesangst. Mit solchen Erlebnissen verbunden sind auch weitere Beschwerden wie allgemeine Ängste, Verunsicherung, Depressionen und Sucht. Das ist das eine. Zudem gibt es einen messbaren Zusammenhang zwischen der Umgebungstemperatur und Aggressivität. Studien beweisen, dass eine Hitzewelle zu mehr Aggression und Verbrechen führt.
Ein Hitzestress im Gehirn?
Ja, genau. Insbesondere bestimmte gehirnorganische Erkrankungen wie etwa Alzheimer oder eine andere Form von Demenz können sich verschlimmern. Besonders gefährdet bei Hitze sind auch Menschen, die wegen ihrer psychischen Erkrankung bestimmte Medikamente einnehmen. Zum Beispiel können Arzneimittel, die zur Behandlung bei Schizophrenie eingesetzt werden, die Thermoregulation des Körpers stören. Das führt dazu, dass Hitze für die Betroffenen noch zu einer stärkeren Herausforderung wird. Auch Wirkstoffe, die zur Behandlung von Depressionen oder Angststörungen eingesetzt werden, können die Hitzeempfindlichkeit steigern.
Und wie reagiert der Rest der Bevölkerung auf die Klimakrise?
Die Klimakrise ist eigentlich keine Krise mehr, sondern ein dauerhafter Zustand. Sie wird so gut wie alle Menschen auf der Erde zeit ihres Lebens betreffen. Die Lebensbedingungen könnten sich dramatisch verschlechtern. Um das zu begrenzen, müsste schneller gehandelt werden als bisher. Dennoch reagieren Menschen sehr unterschiedlich auf das, was uns die Forschung zum Klimawandel sagt. Viele sind krisenmüde und sagen: «Ich bin es leid, vom Klimawandel zu hören». Sie ziehen sich in ihr privates Schneckenhaus zurück, klammern die bedrohliche Wirklichkeit weitgehend aus und richten den Fokus auf ihre persönliche Lebenswelt. Das heisst nicht, dass sie die wissenschaftlichen Fakten leugnen. Das tun nur noch wenige. Es liegt auch nicht daran, dass für sie das Thema nicht wichtig wäre. Doch die Klimakrise ist kompliziert, viele Menschen fühlen sich einfach überfordert.
Wird der Einfluss von Gefühlen unterschätzt?
Ja, ich denke schon. Wir begegnen der ökologischen Krise mit einem ganzen Bündel an Emotionen. Das können Schuldgefühle, Hilflosigkeit, Trauer oder Wut sein. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen unseren Emotionen und der Erfüllung unserer psychischen Grundbedürfnisse. Im Zusammenhang mit der ökologischen Krise gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die bestimmte psychische Grundbedürfnisse verletzen wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Sicherheit, Fairness oder Gerechtigkeit. Gerade das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Dieses wird bei vielen Menschen missachtet, denn die Lasten des Klimawandels sind sehr ungleich verteilt. Je ärmer und schwächer die Menschen, Regionen oder Länder sind, desto geringer sind ihre Möglichkeiten, den Folgen des Klimawandels auszuweichen, sich anzupassen, zu schützen, zu versichern oder entstandene reversible Schäden zu beheben. Auch Generationen sind ungleich betroffen. Junge Menschen und zukünftige Generationen werden mit potenziell schwerwiegenderen Herausforderungen wie extremeren Wetterereignissen, Ernährungsunsicherheit und weiterem Meeresspiegelanstieg konfrontiert sein. Das kann Angst machen.
Wie gehen wir damit um?
Man geht beispielswiese für das Klima auf die Strasse, wie es die globale Protestbewegung Fridays for Future vormacht. Emotionen drängen uns zum Handeln. Doch selbst wenn wir jetzt umfassende Massnahmen ergreifen, wird der Klimawandel nicht sofort verschwinden. Das kann für viele Menschen frustrierend sein. Kommt hinzu, dass wir als Einzelpersonen nur einen begrenzten Handlungsspielraum haben, auch was unser Konsumverhalten betrifft. Selbst wenn wir ökologisch und ethisch korrekt einkaufen, können unsere Konsumentscheidungen alleine die Welt nicht retten. Deswegen sollten wir überlegen, was wirklich realistisch und wirkungsvoll ist und unsere Ziele danach ausrichten. Sonst laufen wir Gefahr, auszubrennen und uns zurückzuziehen.