15. Februar 2022
Esther Wyler
Mehr Transparenz bei künstlicher Intelligenz
Die Digitalisierung schürt bei vielen Menschen Angst und Unsicherheit. Ob in politischen, ethischen oder fachlichen Diskussionen in der Industrie und Arbeitswelt: Die Digitalisierung ist omnipräsent. Doch für normale Bürgerinnen und Bürger ohne spezielles Expertenwissen ist es eine Herausforderung, sich im Begriffsdschungel der Digitalisierung zurechtzufinden. Darüber und vieles mehr sprechen wir mit der Mathematikerin und Leiterin von AlgorithmWatch Schweiz Anna Mätzener.
Frau Mätzener, was verstehen Sie ganz allgemein unter Digitalisierung?
Für den Begriff Digitalisierung existiert keine eindeutige Definition. Er kann, abhängig vom jeweiligen Kontext, mehrere Bedeutungen annehmen. Im Kern bedeutet Digitalisierung, dass analoge Informationen oder Abläufe in eine digitale Form gebracht werden. Zum Beispiel, wenn Musikstücke, die bislang auf Kassetten oder Schallplatten abgelegt waren, so transformiert werden, dass man sie auf dem Computer anhören kann. Oder die Umwandlung von Dias in Digital-Fotos. Eine öfter verwendete weitere Bedeutung von Digitalisierung meint die durch sie ausgelösten Veränderungsprozesse in der Gesellschaft inklusive Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik.
Und was ist mit der viel zitierten sogenannten künstlichen Intelligenz gemeint?
Hier sind sich nicht einmal Expertinnen und Experten einig, welche Bedeutung diesem Ausdruck angemessen ist und wie die Abgrenzung zu den oft synonym verwendeten Begriffen wie Algorithmen, maschinelles Lernen oder Big Data zu setzen ist. Und weil dies so ist, sagen wir von AlgorithmWatch nicht künstliche Intelligenz, sondern wir sprechen von automatisierten (auf Algorithmen beruhenden) Entscheidungssystemen. Weshalb? Weil sich viele Menschen unter künstlicher Intelligenz Roboter mit menschlichen Gesichtszügen vorstellen, die möglicherweise bald die Weltherrschaft übernehmen. Das ist einerseits furchteinflössend und andrerseits werden so Maschinen vermenschlicht und vermitteln den Eindruck, als würden sie autonom handeln. Das stimmt jedoch nicht, denn sie befolgen ausschliesslich Regeln, welche von Menschen aufgestellt werden. Wir möchten mit dem Begriff automatisierte Entscheidungssysteme falsche Vorstellungen vermeiden, um so eine konstruktive Diskussion über künstliche Intelligenz zu ermöglichen.
Können Sie uns dann erklären, was ein Algorithmus ist?
Mathematisch gesehen ist ein Algorithmus eine Reihe von Anweisungen, die Schritt für Schritt ausgeführt werden, um ein Problem zu lösen oder eine Aufgabe zu bewältigen. In unserem Alltag begegnen wir Algorithmen etwa dann, wenn wir einen Kuchen nach einem Rezept backen. Das Rezept ist der Algorithmus, den wir ausführen, damit der Kuchen gelingt.
Auch bei automatisierten Entscheidungssystemen sind Algorithmen gemeint. Diese sind deutlich komplexer. Wir kennen den Google-Algorithmus, der bestimmt, wann welche Webseite in den Google-Suchergebnissen auf welcher Position angezeigt wird. Die automatisierte Entscheidungsfindung ist heute weit fortgeschritten und die rechtliche und ethische Einschätzung dieser automatisierten Entscheidungen hinkt hinterher.
Oft spricht man auch von «Machine Learning» beziehungsweise maschinellem Lernen. Was ist darunter zu verstehen?
Maschinelles Lernen meint eine Form automatisierter Entscheidungsfindung und basiert auf dem Gedanken, dass Systeme aus Daten lernen, Muster erkennen und Entscheidungen treffen können, dies mit minimaler menschlicher Intervention. Dabei wird eine Software von den Programmierern mit einer Menge an Daten versorgt, die ihr bestimmte statistische Zusammenhänge beibringen. Nach diesem gelernten Muster zieht die Software dann neue Schlüsse. Hier geben Programmierer zwar die Strategien vor, nach denen Daten analysiert werden, doch sie legen nicht jedes Detail fest wie in herkömmlichen Programmen. Innerhalb eines vorgegebenen Rahmens verbessert der Algorithmus stattdessen selbständig sein Vorgehen bei der Datenanalyse. Anwendungsbeispiele finden wir u.a. beim Onlinehandel. Wer kennt sie nicht, die klassischen «Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch…» oder «Das könnte Sie auch interessieren»-Anzeigen beim Onlineshopping. Diese Tipps, passend zu den individuellen Präferenzen der Nutzer:innen, sind die Ergebnisse erheblicher Rechenleistungen und komplizierter Algorithmen.
Weiter Beispiele sind der Einsatz von Algorithmen in der Videoüberwachung zur Gesichtserkennung und beim autonomen Fahren (selbstfahrende Autos und Busse ohne Fahrer), bei der Einschätzung der Kreditwürdigkeit (Credit Scoring, Schufa in Deutschland), bei der Berechnung des Risikos bei Straftäter:innen bei der Entlassung aus dem Gefängnis rückfällig zu werden oder beim sogenannten Predictive Policing: wo könnten die nächsten Einbrüche stattfinden? Welche Personen sind potentielle Gefährder:innen? Auch im Personalmanagement werden zunehmend Algorithmen eingesetzt, die bei der Mitarbeitersuche und Personalauswahl und bei der Beurteilung der Leistung von Mitarbeiter:innen helfen sollen.