Während Sie das sagen kommen mir jetzt gerade diese absolut beeindruckenden Bilder von den im Moment in Deutschland stattfindenden Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in den Sinn. Gerade in manchen Regionen im Osten Deutschlands, wo die rechtsextreme Kultur dominant ist, ist es nicht einfach, sich gegen rechts zu positionieren. Dass es diese Menschen gibt, die sich verantwortlich fühlen, ist sehr ermutigend.
Ja, ich freue mich sehr an den Bildern von diesen riesigen Demonstrationen und habe auch selbst mit protestiert. Hartmut Rosa, ein deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler, welcher an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt, bringt diese Bewegungen mit dem Begriff einer «sozialen Energie» zusammen, die wir da gerade spüren. Sie entsteht aus dem Gefühl der Gemeinschaft und des Engagements für eine gemeinsame Haltung, trotz der Vielfalt der Meinungen innerhalb der Demonstrierenden, denn Demokratie lebt ja gerade von dieser Diversität. Ich glaube, diese konkreten Äusserungen zu der von rechten Kreisen geforderten Remigration von Menschen mit Migrationsgeschichten, war der Tropfen, der das Fass für viele Menschen zum Überlaufen gebracht hat. Und es geht bei diesen Kundgebungen ja nicht nur um ein Dagegen, sondern vielmehr um ein gemeinsames Dafür. Diesen Menschen liegt die Demokratie am Herzen. Die Demonstrationen schaffen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Solidarität. Dieses Gefühl, dass eine Mehrheit von Menschen einfach nicht mehr schweigen will, dass es dieses WIR gibt, das hat etwas in Gang gesetzt, war wir in der Form lange nicht gesehen haben.
Was könnten diese eindrücklichen Proteste nun bewirken?
Ja, was machen wir nun mit diesen freigesetzten Kräften. Das wird sich zeigen müssen und liegt auch an den Fragen, die wir stellen: Was macht die Gesellschaft, die Politik und auch jeder und jede einzelne mit dem, was wir da gerade gesehen haben? Wie gehen wir damit um? Wie überführen wir diese Energie auch in langfristigere Projekte und andere Veranstaltungsformen? Da entsteht gerade ein neues Feld, um verantwortlich handeln zu lernen, um nächste Schritte zu entwickeln. Dabei ist es wichtig, die Betroffenheit, die emotionale Ebene einzubeziehen, aber sachlich und im Dialog, eine gute und konstruktive Auseinandersetzung zu den dringlichen politischen und gesellschaftlichen Fragen möglich zu machen, auf der persönlichen Ebene genauso wie auf der institutionellen.
Inwiefern spielt die Idee, dass man nur das kontrollieren kann, was in der eigenen Macht steht, eine Rolle bei der Übernahme persönlicher Verantwortung in unsicheren Zeiten?
Diese Fragen sind schon Jahrtausende alt und bereits die stoischen Philosophen haben sich in der griechischen Antike damit auseinandergesetzt. Ein Grundsatz ihrer Lehre ist, dass wir uns nicht von unseren Emotionen beherrschen lassen sollten, sondern lernen sollten, sie zu regulieren und nicht zum Leitfaden für unsere Handlungen werden zu lassen. Es ist wichtig, nicht aus einem Zustand der Wut, der Empörung oder der Eifersucht heraus, wichtige Entscheidungen zu treffen, sondern auch die eigenen Emotionen in einen Kontext zu setzen. Warum ist das so? Was sind die Bedingungen und was eben auch nicht? Die Stoiker haben gemahnt, sich stets zu fragen, was in meiner Macht liegt und was nicht. Was kann ich MACHEN. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir steuern können, und nicht auf äussere Faktoren, gewinnen wir mehr Gelassenheit und innere Ruhe auch in aufgewühlten Zeiten. Vielleicht kann ich einen Beitrag leisten und einen Anfang machen. Ich könnte mich beispielsweise entscheiden, meine Zeit und Energie dort zu investieren, wo ich den grössten Einfluss habe und wo ich den grössten Unterschied machen kann. In unserem Leben stehen wir in verschiedenen Verantwortlichkeiten. Wir sind Mütter, Väter, Lehrkräfte, Fussballtrainer: innen, usw. Manchmal müssen wir Prioritäten setzen und realistische Erwartungen an uns selbst haben. Wir müssen uns fragen, was ein guter Kompromiss zwischen unseren Verantwortlichkeiten sein könnte und welche guten Gründe es gibt, so zu handeln, wie wir es tun. Diese Klarheit brauchen wir, um auch Dilemmasituationen auszuhalten. Eine Dilemmasituation ist eine Situation, in der eine Person vor einer schwierigen Entscheidung steht, bei der sie zwischen zwei oder mehreren Handlungsoptionen wählen muss, von denen keine die einzig richtige ist und jede potenziell negative Konsequenzen haben kann.
Wie können wir angesichts globaler Herausforderungen eine Verantwortung für die Zukunft übernehmen? Haben wir überhaupt eine Verantwortung für die Zukunft?
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass wir die Zukunft und die Bedürfnisse der dereinst in ihr lebenden Menschen nicht kennen. Einige mögen daher argumentieren, dass es schwer ist, Verantwortung zu übernehmen, wenn wir nicht wissen, was die Zukunft bringt und welche Antworten benötigt werden. Und trotzdem müssen wir uns diese Fragen heute stellen, besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Zukunft, wie wir sie kennen, nicht mehr existieren wird, wenn wir so weitermachen wie bisher, zumindest nicht für menschliches Leben. Wie also sollen wir uns verhalten? Gibt es so etwas wie eine moralische Verpflichtung zu einem verantwortlichen Handeln? Ja, die gibt es. Beispielsweise legt das deutsche Grundgesetz fest, dass der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen schützen muss. Doch was bedeutet das konkret für uns? Da stellen sich auch im ganz konkreten persönlichen Alltag Fragen wie beispielsweise: Nehme ich für den Weg zur Arbeit das Auto oder fahre ich mit dem Fahrrad? Nehme ich für meine Urlaubsreise das Flugzeug oder die Bahn, und macht dies einen Unterschied? Dies auch im Zusammenhang damit, dass ich mich frage, was soll meinen Kindern und Enkelkindern dereinst zustehen? In welcher Art und Weise kann oder soll dies für mich handlungsleitend sein. Auch wenn wir nicht wissen können, wie die Zukunft aussehen wird, können wir dennoch bewusste Entscheidungen treffen und neue Wege ausprobieren, um einen positiven Beitrag zu leisten. Es ist wichtig, dass wir uns nicht von den Herausforderungen der Welt verunsichern lassen, sondern mutig und optimistisch bleiben, während wir uns auf eine bessere Zukunft ausrichten.