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«Wirtschaft ist Psychologie»

Wie treffen Menschen wirtschaftliche Entscheidungen und welche psychologischen Faktoren beeinflussen diese Entscheidungen? Wie beeinflussen Führungskräfte das Verhalten und die Leistung ihrer Mitarbeitenden? Mit solchen und anderen Fragen beschäftigt sich die Wirtschaftspychologie. Im Interview sprechen wir mit dem Wirtschaftspsychologen Christian Fichter. Er sieht seine Aufgabe darin, die Wirtschaft psychologisch zu erklären und Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Für erfüllende Arbeit, nachhaltigen Konsum und lebenswerte Rahmenbedingungen.

Symbolbild Fiechter Wirtschaftspsychologie

Herr Fichter, was versteht man unter Wirtschaftspsychologie?

Wirtschaftspsychologie ist eine Disziplin der Psychologie, die sich mit dem Funktionieren des Menschen in ökonomischen Kontexten befasst. Es handelt sich hierbei um einen Dachbegriff für alle Bereiche in der Wirtschaft, wo der Mensch eine Rolle spielt, und das ist eigentlich überall.

Der Faktor Mensch ist also zentral?

Ja, deshalb lautet das zentrale Postulat der Wirtschaftspsychologie auch: «Wirtschaft wird von Menschen gemacht.» Ich behaupte: Wirtschaftliches Handeln ist Teil der menschlichen Natur. Wer also die Wirtschaft verstehen will, der muss den Menschen kennen.

Und wie wird dieses Wissen eingesetzt?

Wenn man gute Entscheidungen treffen will, dann muss man verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bereich Personal. Wie kann ich sicher gehen, dass eine zukünftige Führungskraft auch die notwendigen Führungsqualitäten mitbringt? Wie kann ich herausfinden, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber womöglich ein Risikopotenzial für das Unternehmen mitbringen? Hier kommt der Begriff «toxische Führung» ins Spiel. Toxische Führungskräfte können nicht nur den Mitarbeitenden schaden, sondern auch ganze Teams oder gar Unternehmen ruinieren.

Können Sie das näher beschreiben?

Toxische Führungskräfte weisen in ausgeprägter Weise bestimmte Eigenschaften auf, welche zur sogenannt dunklen oder toxischen Triade gehören: Narzissmus (überzogene Selbstwertschätzung), Machiavellismus (manipulative Persönlichkeit) und subklinische Psychopathie (ausbeuterisches und rücksichtsloses Verhalten). Gerade in der Finanzbranche, wo es um Geld geht, sind bei Führungskräften neben hoher Risikoneigung auch diese Eigenschaften anzutreffen. Das kann jedoch negative Folgen für ein Unternehmen haben, wie wir am Beispiel der Credit Suisse sehen. Die Bank war über Jahre hinweg durch eine toxische Führungskultur geprägt, welche den Profit über die Sicherheit stellte. Deshalb müssen gerade bei Führungskräften die negativen Eigenschaften besser kontrolliert werden. Die Psychologie verfügt über die entsprechenden Messverfahren und Messmöglichkeiten.

Was haben Sie geforscht?

Ich habe mich zusammen mit meinen Studierenden mit dem «Image» beschäftigt. Das Wort Image stammt vom Lateinischen (Imago) und bedeutet «Bild, Vorstellung, Verkörperung». Das Image bezieht sich auf die öffentliche Wahrnehmung oder Vorstellung, die Menschen von einer Person, einem Unternehmen, einer Marke oder einem Produkt haben. Es kann durch Erfahrungen, Botschaften, Werbung und andere Faktoren beeinflusst werden und hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen das Unternehmen, die Marke oder das Produkt wahrnehmen und sich dazu verhalten. Wir haben uns mit dem Imageeffekt befasst. Dieser besagt, dass wir bei Entscheidungen mehr auf das Image als auf die Fakten schauen, beispielsweise beim Kauf von Gütern oder beim Wählen einer Partei. Um diese Theorie zu überprüfen, haben wir konkrete Experimente gemacht, eines betrifft unseren Medienkonsum. Ausschlag dazu gab eine alltägliche Beobachtung: Menschen bevorzugen unterschiedliche Zeitungen – 20 Minuten, Blick, Tages-Anzeiger, NZZ und andere mehr. Deren Leserinnen und Leser glauben, klar darüber urteilen zu können, was guter und was schlechter Journalismus ist. Aber was ist der Massstab für dieses Urteil? Ist es die Qualität der Zeitungsartikel? Oder vielmehr das Image der Zeitung?



Christian Fichter:

«Wirtschaftliches Handeln gehört zur menschlichen Natur und die Fähigkeit zur Kooperation und zum Tausch hat den Menschen so erfolgreich gemacht.»

Um dies herauszufinden, bedienten wir uns des Verfahrens der «vertauschten Verpackung»: Wir haben einen Text aus dem Tages-Anzeiger kopiert und liessen diesen einmal im Layout des Blick und einmal im Layout der NZZ gestalten. Das Resultat: In der Gestaltung der Boulevardzeitung wurde der Artikel als schlecht recherchiert, populistisch und unzuverlässig, aber gut lesbar beurteilt. Im NZZ-Layout hingegen erschien den Testpersonen der Text als zuverlässig und seriös, aber eher schlecht verständlich. So konnten wir bestätigen, dass ein identisches Produkt je nach assoziiertem Image völlig unterschiedlich eingeschätzt wird. Images vernebeln also den Verstand der Konsumierenden. Image-Phänomene sind in der Wirtschaft dauernd präsent. In der Werbung und im Marketing werden sie ständig bedient. Aber auch in der Politik spielen sie eine grosse Rolle: Hat ein Politiker einmal ein Image aufgebaut, dann spielt es fast keine Rolle mehr, was er genau sagt. Ich vermute, dass der Imageeffekt evolutionspsychologisch bedingt ist. Sich an einem gespeicherten Image zu orientieren, erlaubt uns, instinktiv richtig zu handeln. Im Normalfall funktioniert das gut, solange man nicht getäuscht wird.

Der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Ludwig Ehrhard, soll einmal gesagt haben: «Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie.» Was sagen Sie dazu?

Ja, das stimmt. Ob es genau 50 Prozent sind oder etwas mehr oder weniger: Ohne Psychologie kann man die Wirtschaft nicht verstehen. Ob beim Konsumieren, beim Arbeiten, beim Sparen oder bei irgendeinem anderen wirtschaftlichen Vorgang: Praktisch immer ist eine psychologische Betrachtungsweise hilfreich oder gar unabdingbar.

Was ist eigentlich wirtschaftliches Handeln?

Wirtschaftliches Handeln ist eng mit der Entwicklung menschlicher Gesellschaften verbunden und lässt sich bis in die frühesten Phasen der menschlichen Geschichte zurückverfolgen. Es begann mit den ersten Formen des Tauschs, bei denen Menschen Güter oder Dienstleistungen untereinander austauschten, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Wirtschaftliches Handeln gehört zur menschlichen Natur und die Fähigkeit zur Kooperation und zum Tausch hat den Menschen so erfolgreich gemacht. Eine grundlegende Errungenschaft der menschlichen Zivilisation ist die Arbeitsteilung. Wir würden heute weit weniger komfortabel leben, hätten unsere Vorfahren nicht irgendwann die Vorteile dieser Wirtschaftsweise entdeckt. Die Arbeitsteilung ermöglicht es Menschen, ihre Ressourcen effizienter zu nutzen, die Produktivität zu steigern und einen höheren Lebensstandard zu erreichen. Durch die Spezialisierung können Menschen sich auf ihre Stärken konzentrieren und Tätigkeiten ausführen, bei denen sie besonders gut sind. Dies führt zu einer erhöhten Effizienz und Qualität der produzierten Güter und Dienstleistungen.

Wenn psychologische Faktoren eine so wesentliche Rolle im wirtschaftlichen Handeln spielen, macht dies die Wirtschaft nicht zu einem guten Teil unberechenbar?

Zwar verhalten sich Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen nicht immer ökonomisch rational. Aber es wäre falsch zu sagen, sie handelten dabei nicht in ihrem besten Interesse. Doch der Mensch ist keine Maschine. Manchmal werden Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen und das ist nicht immer schlecht. Es gibt Situationen, in denen Intuition und Bauchgefühl eine wertvolle Rolle spielen können. Manchmal haben wir aufgrund unserer Erfahrungen und unseres Wissens unterbewusst ein Gefühl dafür, welche Entscheidung die richtige ist. Insbesondere in Situationen, in denen Zeitdruck herrscht oder Informationen begrenzt sind, kann das Bauchgefühl als Leitfaden dienen. Eine gute Herangehensweise besteht darin, sowohl emotionale als auch rationale Hinweise einzubeziehen. Indem man Informationen sammelt, verschiedene Perspektiven berücksichtigt und die Vor- und Nachteile abwägt, kann man eine fundierte Entscheidung treffen, die sowohl auf dem Bauchgefühl als auch auf logischen Überlegungen basiert.




Symbolbild Fiechter Wirtschaftspsychologie
Portraetbild Christian Fichter Original
«Wirtschaftswachstum kann auch nachhaltig sein, es muss darum gehen, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte miteinander in Einklang zu bringen.»
Christian Fichter Sozial- und Wirtschaftspsychologe

Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden in allen gesellschaftlichen Belangen als Begründung für geplante Massnahmen herangezogen. Ob es um die Ansiedlung neuer Industrien, um den Abbau von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung oder um andere Aktivitäten geht, immer wird das Argument der wirtschaftlichen Notwendigkeit genannt. Stehen wir nicht völlig unter dem Diktat der ökonomischen Interessen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Aber es braucht einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen und sozialen bzw. gesellschaftlichen Interessen. Dabei kann die Wirtschaftspsychologie mit verschiedenen psychologischen Methoden und Forschungstechniken helfen. Sie kann beispielsweise Unternehmen dabei unterstützen, innovative und differenzierte Produkte zu entwickeln, die sich von der Konkurrenz abheben. Im Bereich Konsument:innenschutz kann sie dazu beitragen, Probleme im Zusammenhang mit Qualität, Sicherheit oder Kundenzufriedenheit zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen. Wirtschaftspsychologie hilft auch, das Wohlergehen und die Sicherheit der Arbeitnehmenden zu verbessern etwa im Bereich Arbeitsplatzgestaltung, Stressbewältigung und Work-Life-Balance, Arbeitssicherheit und Unfallprävention, Veränderungsmanagement und Mitarbeiterbeteiligung. Das sind nur einige Beispiele. Letztlich muss sichergestellt werden, das die Wirtschaft für den Menschen da ist, nicht umgekehrt.

Kann es ein unendliches Wirtschaftswachstum geben?

Da müssen wir klären, von welchem Verständnis von Wirtschaftswachstum wir ausgehen. Man kann Wachstum verstehen als ein immer höher, schneller, weiter und grösser – oder aber als Anpassungsleistung an die globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Ressourcenknappheit, sozialen Ungleichheiten und anderen Umwelt- und sozialen Problemen. Letzteres stellt für mich ein sinnvolles Wirtschaftswachstum dar. Dies kann durchaus verbunden sein mit einem finanziellen Wachstum, wenn ein Unternehmen beispielsweise in saubere Technologien, die Emissionen reduzieren und die Material- und Energieeffizienz steigern, investiert. Ich finde: Das Streben nach Wachstum wohnt dem Menschen inne, das sieht man schon am kleinen Kind. Es möchte wachsen, sein Wissen und seine Möglichkeiten mehren, seine Persönlichkeit entfalten und, auch das gehört dazu, Ressourcen erlangen. Wirtschaftswachstum kann auch nachhaltig sein, es muss darum gehen, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte miteinander in Einklang zu bringen. Wenn wir es richtig anstellen, muss die Befriedigung von Konsumbedürfnissen nicht im Widerspruch stehen zu Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Ich bin ein faszinierter Optimist. Der Mensch ist eine der anpassungsfähigsten Spezies auf dem Planeten und in der Lage, grosse Herausforderungen zu bewältigen. Wenn wir sagen, dass es aus ökologischen Gründen verantwortungslos sei, noch Kinder in die Welt zu setzen, dann ist das für mich lebensfeindlich und weltfremd. Wir sind in diese Welt gesetzt worden, um unser Leben so zu leben, wie es eben nach menschlichen und natürlichen Massstäben sinnvoll und gut ist. Wir wollen Freude und Lust am Leben empfinden, wir wollen uns fortpflanzen, weiterentwickeln und bilden, wir wollen nützlich sein für andere und auch für uns selbst. Klar, es gibt keine Garantie für die Zukunft der Menschheit, aber es liegt in unserer Verantwortung, uns mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen und positive Veränderungen anzustreben.

Weshalb haben viele das Gefühl, die Welt sei ein schlechter und gefährlicher Ort?

Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn wir uns in den Medien über den Zustand der Welt informieren. Kriege, Krisen, Katastrophen, über solche Ereignisse wird breit berichtet. Medien leben heute leider von der Empörung, die sie selbst erzeugen. Das müssen sie tun, weil sie sonst untergehen. Die Folge davon: Es wird übersehen, dass sich die Welt in wichtigen Bereichen sehr positiv entwickelt hat. Die Fortschritte in den Bereichen Technologie, Medizin, Kommunikation und Transport hat den Lebensstandard für viele Menschen verbessert. Die Lebenserwartung ist gestiegen, die Gesundheitsversorgung hat sich verbessert und der Zugang zu Bildung ist weit verbreiteter geworden. Heute haben in vielen Teilen der Welt mehr Menschen Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Nahrung, Wasser und Elektrizität. Natürlich gibt es auch im 21. Jahrhundert Missstände und Rückschläge zur Genüge. Aber vieles läuft auch besser als früher, trotz aller Herausforderungen und Problemen, denen wir uns stellen müssen. Kommt hinzu: Je kleiner die Missstände, desto grösser werden sie dargestellt. Früher wurden viele Gruppen unterdrückt und diskriminiert. Heute ist das weniger der Fall. Dennoch ist das Klagen über Unterdrückung und Diskriminierung lauter als jemals zuvor. Erstens, weil die Wahrnehmung, zu einer unterdrückten Gruppe zu gehören, Identität stiftet und ein Gefühl der Zugehörigkeit schafft. Zweitens, weil ein Beklagen der Unterdrückung früher oft mit einer Bedrohung von Leib und Leben einherging, oder zumindest mit sozialer Ächtung. So gesehen ist das laute Klagen mancher Gruppen ein Zeichen dafür, dass sich deren Umstände verbessert haben.

Portraetbild Christian Fichter Original

Prof. Dr. Christian Fichter ist Sozial- und Wirtschaftspsychologe, Forschungsleiter der Kalaidos Fachhochschule und Leiter des Instituts für Wirtschaftspsychologie. Er befasst sich mit den psychologischen Grundlagen wirtschaftlichen und sozialen Verhaltens.

Persönliche Website: www.fichter.ch

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